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Das Hörfunkprogramm nach der Grenzschließung
»Klappe zu und Affe tot ...«
Das Musikprogramm und die Lieder zum Mauerbau
In der Woche des Mauerbaus waren auch die Musikprogramme von Änderungen im Sendeablauf betroffen. Der Anteil an Unterhaltungsmusik war deutlich höher als ursprünglich geplant. Besonders bemerkenswert waren die zahlreichen politischen Lieder, die quasi über Nacht entstanden waren und tagesaktuelle Themen zum Inhalt hatten.
Wunschkonzert und Marschmusik statt »Deutschland, einig Vaterland«: Die Programmänderungen im Überblick
Zu Beginn der Sendewoche wurden zunächst vermehrt Musiksendungen zugunsten von Wortbeiträgen aus dem Programm genommen, um die Bevölkerung mit Nachrichten über die aktuelle Lage zu versorgen. Es fanden aber auch bereits inhaltliche Eingriffe in die Ausgestaltung des Musikprogrammes statt. Schon am Nachmittag des Mauerbautages fällt ein außerplanmäßiges »Wunschkonzert für die Genossen der Volkskammer und Volkspolizei« auf. Das Format des Gruß- und Wunschkonzertes für die Streitkräfte der DDR zog sich durch das Programm der gesamten Woche. Es war ein recht spontanes und einfach zu produzierendes Sendeformat mit populärer Unterhaltungsmusik, das eine Würdigung und »Belohnung« für die Tag und Nacht arbeitenden Kampftruppen der DDR, Volks- und Grenzpolizisten darstellte. Gleichzeitig konnte die Bevölkerung so auf diesen »Einsatz für das Volk« aufmerksam gemacht werden. Vor allem das Nachtprogramm, das nun unerwarteter Weise von den Redakteuren neu zu füllen war, wurde mit den »Wunschkonzerten« bestritten.
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Wie »anspruchsvollere« Sendungen am Abend und in der Nacht zugunsten von Unterhaltungs- und Tanzmusik oder auch agitatorischer Musik aus dem Programm genommen wurden, lässt sich anhand von drei Beispielen aus dem Hörfunkprogramm vom 13. bis 15. August belegen:
Ein Brecht-Liederabend um 20:00 Uhr musste einfacher »Tanzmusik« weichen. 20 Minuten Orgelmusik von Joseph Haydn vor Mitternacht wurden zugunsten von »Märschen und Kampfliedern« gestrichen, und statt der zeitgenössischen Kammermusik mit Kompositionen von Ottmar Gerster und Willi Schabbel wurde eine halbe Stunde Unterhaltungsmusik mit eingeschobenem Beitrag »Kalter Krieg in Westberlin« ausgestrahlt.
Die Vermutung liegt nahe, dass der vermehrte Einsatz von leichter Musik beruhigend und beschwichtigend, auch positiv-ermunternd auf die angespannte Stimmung in der Bevölkerung wirken sollte. Musikalisch anspruchsvollere Formen – selbst wenn ihnen ideologisch »einwandfreie« Programme wie Lieder von Brecht zugrunde lagen – wollte man in jenen Tagen der Bevölkerung scheinbar nicht zumuten, beziehungsweise hatten sie nicht die gewünschte affirmative Wirkung.
E-Musik nur von »sozialistischen« Künstlern
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Bezeichnend ist, welche Programme der E-Musik unverändert gesendet wurden: Dazu zählt z.B. ein Liederabend am Sonntagabend mit der russischen Sopranistin Sara Doluchanowa, ein Konzert des Gewandhausorchesters Leipzig unter der Leitung des Nationalpreisträgers Franz Konwitschny am 14. August, das Konzert mit dem hauseigenen Orchester unter Otto Dobrindt am 16. August und eine Sendung vom 15. August mit dem Titel »Beliebte ausländische Ensembles singen und spielen« – wobei hier von Ensembles aus dem sozialistischen Ausland ausgegangen werden kann. Diese Beispiele zeigen: E-Musik-Sendungen mit Fokus auf das »volkseigene« oder »sozialistische« Künstlertum im Ausland wurden unbeeindruckt der aktuellen Ereignisse weiterhin gesendet.
Nationalhymne der DDR? – Gestrichen!
In der gesamten Sendewoche wurde die Nationalhymne der DDR aus dem Programm gestrichen, mit der – laut Programmplan – eigentlich täglich das Hörfunkprogramm in den frühen Morgenstunden hätte eröffnet werden sollen. Dies kann als Anzeichen für das Hadern der SED mit dem Text ihrer Hymne gedeutet werden. Besonders die Zeile »Deutschland, einig Vaterland« führte dazu, dass ab den frühen 1970er Jahren die Hymne meist textlos aufgeführt wurde.
In der Woche des Mauerbaus scheint man mit den Streichungen auf die Tatsache reagiert zu haben, dass die Politik der DDR nun endgültig der Möglichkeit einer Vereinigung der beiden Teile Deutschlands den Rücken zugewandt hatte.
Politische Lieder zum Mauerbau
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Aus dem zeitlichen Umfeld der Grenzschließung sind im Deutschen Rundfunkarchiv fast 20 Lieder überliefert, die die politische Stimmung der Zeit widerspiegeln. Die Lieder mit tagesaktuellen Inhalten aus dieser Programmwoche waren im DDR-Hörfunk der Rubrik »Musik der revolutionären Arbeiterklasse« zugeordnet. Diese staatlich massiv propagierte Musik, vornehmlich entstanden in Autorenkollektiven der Rundfunkanstalten, hatte kein Pendant im West-Rundfunk.
Bis Mitte der 1950er Jahre hatte es eigene Sendeplätze für aktuelles politisches Liedgut gegeben. Diese waren jedoch bis Ende der 1950er Jahre fast völlig aus den Programmplanungen verschwunden. Solche Lieder waren im Rundfunk der DDR 1961 – obwohl es dazu rundfunkpolitische Forderungen gab – kaum zu hören. Vor diesem Hintergrund ist das innerhalb weniger Tage entstandene Repertoire der politischen Lieder zum Mauerbau besonders bemerkenswert.
Dass zeitgleich mit einer so hochbrisanten politischen Situation wie der Grenzschließung die »Maschinerie« der Liedproduktion »angeworfen« wurde, zeigt, dass dem Regime die Wirkung des Mittels »politisches Lied zur Meinungsbildung« sehr bewusst war und es bei Bedarf gezielt darauf zurückgriff. Wann genau diese Lieder im Programm liefen, ist in den meisten Fällen nicht mehr exakt rekonstruierbar. Was in den meisten Fällen vorliegt, sind Produktionsdaten, die darauf hinweisen, dass diese Lieder in den Tagen des Mauerbaus zum zeitnahen Einsatz im Programm bestimmt waren.
Am 11. August 1961, wenige Tage vor dem Beginn des Mauerbaus, entstanden zwei Lieder mit den Titeln »Friedenslied 1961« und »Herr Raffzahn«. Im »Friedenslied 1961« wird noch der Hoffnung auf eine gemeinsame friedliche Zukunft Ausdruck gegeben, wenn es im Refrain heißt:
»Geteilt sind Land und Leute, der Frieden ist geteilt. / Wenn wir den Frieden heilen, wird auch das Land geheilt.«
»Herr Raffzahn« hingegen ist schon die menschgewordene Gier, das verabscheuungswürdige Ergebnis des verderbenden Einflusses des Amerikanismus. Im Song werden die Brutalität und Gnadenlosigkeit, mit der man wenige Tage später tatsächlich »dem Kapitalismus den Riegel vorschieben« würde, bereits vorweggenommen.
Die ersten Früchte der Liedproduktion, die auf die Grenzschließung reagierten, diese kommentierten und – natürlich – im propagandistischen Sinne feierten, waren spätestens am Nachmittag des 14. August im Programm zu finden:
Der erste in den korrigierten Sendeplänen belegte Song an diesem Tag waren die »Berliner Geschichten« von Walter Kubiczeck. Kubiczeck war Redaktionsleiter für Tanzmusik bei Radio DDR und auch als Komponist für den Rundfunk tätig. In diesem spöttischen Lied wird der Sieg gegen die »kalten Krieger am Rhein« gefeiert und in dem eingängigen Refrain die anbrechende bessere Zeit in der endlich »sauberen«, ruhigen und friedvollen Hauptstadt besungen.
Am Dienstag, dem 15. August, wurde das erste Lied zum Mauerbau aus der Feder von Max Spielhaus produziert. Erstaunlich zeitnah ging der Textdichter Willi Golm auf die vergangenen drei ereignisreichen Tage ein: Besungen wurde in dem Lied »Der Drei-Tage-Song« der 12. August, an dem das »kapitalistisch verseuchte Frontstadtleben« noch seine Auswüchse trieb, der 13. August, als, ganz plötzlich, »das Spielchen […] vorbei« war, und der 14. August, als der Rückzug der »Ganoven« in das »liebe Land des Westens« – freilich in amerikanisch-jazziger Manier – begann. Die letzte Strophe veranschaulicht, wie die Mittel der Jazzmusik eingesetzt wurden und wie der Glaube an den Sieg des sowjetischen Weges im Abgesang zum Ausdruck kommt.
Am 16. August wurden gleich mehrere neue politische Lieder produziert: Das Kampflied »Der Friede darf nicht warten« von Walter Kubiczeck, »Ausgerechnet am 13.« von Siegfried Schäfer sowie die Lieder »Ein Trauerlied für Willy Brandt«, »Das war die höchste Zeit« und der »Pazifisten-Song« von Max Spielhaus.
Das Chorlied »Der Friede darf nicht warten« ist mit dem Untertitel »Kampflied zum 13. August 1961« versehen und kann damit als agitatorisches Liedgut bezeichnet werden. Entsprechend eingängig und als Marschlied konzipiert ist seine musikalische Gestalt. Inhaltlich wird die These vom »antifaschistischen Schutzwall« ausgemalt: das »freie Volk« habe sich gegen die Gefahr vor dem behaupteten Wiedererstarken der Nationalsozialisten im Westen und in der Folge auch in ganz Deutschland geschützt.
Diesem ernsten, kriegerischen Gestus des Kampfliedes steht der humoristisch-sarkastische Ton des Liedes »Ausgerechnet am 13.« gegenüber. In dieser satirischen Schlagernummer werden die durch den Mauerbau abrupt beendeten Karrieren von »unliebsamen Gestalten« vorgeführt, gegen die die sozialistische Propaganda in diesen Tagen besonders hetzte: Nach dem so genannten »Menschenhändler« im folgenden Hörzitat haben in den beiden anderen Strophen noch der Boss vom Grenzkino und der Schwindelkursbaron ihren »Auftritt« – sie alle geben ihren Klagegesang zum Besten.
Wie gegen die kapitalistische »Amoral« des Westens und insbesondere auch gegen den Rundfunk im amerikanischen Sektor (RIAS) gehetzt und im Kontrast dazu die eigene moralische Überlegenheit herausgestellt wurde, wird im folgenden Hörzitat aus dem Lied »Das war die höchste Zeit« von Max Spielhaus deutlich. Bemerkenswert ist, wie der schmissige Refrain, in dem die eigenen »duften Jungens« gefeiert werden, mit einem Fanfarenmotiv eingeleitet wird.
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Eine gewisse landläufige Bekanntheit erlangte die Redewendung »Klappe zu, Affe tot« im Kontext des Mauerbaus durch das Lied »Im Sommer einundsechzig« mit einem Text von Heinz Kahlau. Dieses ist erstmals am 17. August im Programm des Berliner Rundfunks nachgewiesen.
Dass diese Redewendung von offizieller Seite wohl gezielt propagiert wurde, legt ein weiteres Lied mit dem Titel »Song vom Schieber-Ramsch« nahe, das am 18. August beim Rundfunk entstand. Die Musik stammt von Siegfried Matthus, der später zu einem der bekanntesten Komponisten der DDR wurde.
Ein anderes, verbreitetes und wohl ebenfalls durch Auftragswerke forciertes Motiv innerhalb dieser Liedergruppe zum Mauerbau war die »endlich wieder reine Luft« im Ostteil von Berlin. Sowohl der Song »Im August in Berlin« von Max Spielhaus vom 18. August schwelgt in der Wonne der hereinbrechenden schönen Zukunft, in der »die Luft wieder klar und frisch« ist, als auch das Lied »Endlich mal atmen« vom selben Autor. Im folgenden Hörzitat aus dem Lied wird wiederum deutlich, wie die offizielle Deutung der Geschehnisse um jenen »Tag im August« durch Schlager mit Ohrwurmqualitäten ins Bewusstsein der Bevölkerung dringen sollte.
Musik im Berliner Rundfunk
Musiksendungen nahmen in den frühen 1960er Jahren im Berliner Rundfunk circa zwei Drittel des Programmes ein. Davon entfiel ein Großteil auf Unterhaltungs- und Tanzmusik, während die E-Musik ein Schattendasein führte. Bemerkenswert in der Rundfunkpolitik der DDR ist, dass die Musik im Hörfunk-Programm seit Ende der 50er Jahre ebenso unter Beobachtung und Reglementierung stand wie die Wortanteile. Die SED setzte den Rundfunk ganz gezielt ein, um eigene politische Ziele zu propagieren. Dazu gehörte, die Westpolitik, den dortigen »Amerikanismus«, »Imperialismus«, »Militarismus« und »Kulturverfall« anzuprangern.
In diesem Sinne sollte auch die Rundfunkmusik eingesetzt werden: Auch sie sollte mithelfen, die »sozialistische Kulturrevolution« voranzutreiben. Dafür wurde erstmals 1957 eine Quote eingeführt, nach der nur noch 40 Prozent der Tanz- und Unterhaltungsmusik aus dem Westen stammen durften. Die restlichen 60 Prozent mussten DDR-Eigenproduktionen und Übernahmen von anderen sozialistischen Ländern sein.
Neben den eigenen Autorenkollektiven der Rundfunkanstalten, die mit ihren Liedern rasch aktuelle Themen aufgriffen, wurde in besonderem Maße die sogenannte »Volksmusik« gefördert, zu der in der DDR Arbeiterlieder, Kampfgruppen- und Volksarmeelieder sowie Jugend- und Wanderlieder zählten.
Rundfunkmusik war in all diesen Fällen ein Mittel zum Zweck: Sie wurde »bewußt in den Dienst der Entwicklung gebildeter sozialistischer Persönlichkeiten gestellt. Die Programmgestaltung dient der Herausbildung optimaler Möglichkeiten, um die emotionellen Kräfte der Musik im Sinne des gesellschaftlichen Fortschritts wirken zu lassen«, so Max Spielhaus, Komponist und Mitarbeiter von Radio DDR, in einem Aufsatz zur Arbeit von Musikredaktionen.
Aber auch scheinbar unpolitische Musik unterstand dem Reglement der Partei: Sie sollte in ihrem Gesamtcharakter »volkstümlich verbunden, unterhaltend, leicht« sein. Die Förderung einer »sozialistischen Unterhaltungskunst« hatte sich die SED spätestens seit der Bitterfelder Konferenz 1959 auf die Fahnen geschrieben. Diese beiden Haupttendenzen der Kulturpolitik im Rundfunk – die Forcierung von politischem Liedgut und die Propagierung von leichter, »volksnaher« Unterhaltungsmusik – kamen in der Sendewoche des Mauerbaus deutlich zum Tragen.
Karin Pfundstein
Literatur
- Dussel, Konrad: Bildung versus Unterhaltung? Ein Vergleich deutsch-deutscher Hörfunkprogramme am Vorabend des Fernsehzeitalters. In: Kreuzer, Helmut (Hrsg.): Radio (=Zeitschrift für Literaturwissenschaft und Linguistik, Heft 111), Stuttgart und Weimar 1998.
- Herbst, Maral: Demokratie und Maulkorb. Der deutsche Rundfunk in Berlin zwischen Staatsgründung und Mauerbau, Berlin 2002.
- Mühl-Benninghaus, Wolfgang: Rundfunk in der SBZ/DDR. In: Schwarzkopf, Dietrich (Hrsg.): Rundfunkpolitik in Deutschland. Wettbewerb und Öffentlichkeit, München 1999.
- Spielhaus, Max: Zur Geschichte der Musikredaktionen an den Bezirkssendern des Deutschen Demokratischen Rundfunks. In: Beiträge zur Geschichte des Rundfunks (BzGR) 1967, Band 3.
- Weihen, Daniel zur: Komponieren in der DDR. Institutionen, Organisationen und die erste Komponistengeneration bis 1961, Köln. u.a. 1999, insb. S. 281 – 290.
Texte der zitierten Lieder