»Treffpunkt Berlin« (1960): Walter Ulbricht erläutert den »Deutschlandplan des Volkes« | Bildquelle: DRA/Waltraut Denger (1371318)

Das Hörfunkprogramm nach der Grenzschließung

Von Kriegstreibern, Menschenhändlern und den »Maßnahmen der Regierung«

Aktuell-politische Sendungen

»Bonner Kriegstreiberei«, »Menschenhandel« und die »Wühltätigkeit« der Westmächte – so lauteten die Schlagworte, mit denen ab dem 13. August 1961 versucht wurde, den Mauerbau zu rechtfertigen. Zahlreiche Sondersendungen und Einblendungen zum Thema wurden im Berliner Rundfunk ausgestrahlt. In Umfragen versuchte der Hörfunk, die Zustimmung der Bevölkerung im Osten in Szene zu setzen.

Propagandakonforme Berichterstattung

Der heute geläufige Begriff »Mauerbau« wurde von den Radiosprechern in der DDR nicht über den Sender geschickt. Die Kommentatoren sprachen von »Schutzmaßnahmen an der Grenze« oder verklausuliert von den »Maßnahmen unserer Regierung«.

Die grundlegende Argumentationslinie, die von den Medien verbreitet wurde, lässt sich auch in der »Erklärung der Regierungen der Warschauer Vertrags-Staaten« erkennen. Hier findet sich zunächst der außenpolitische Aspekt der »Kriegstreiberei« des Westens: »Die Westmächte beantworten die von Friedensliebe getragenen Vorschläge der sozialistischen Länder mit verstärkten Kriegsvorbereitungen, mit der Entfachung einer Kriegshysterie und mit der Androhung militärischer Gewalt.« Die Mauer wird damit als Schritt zur Friedenssicherung verkauft. In der Erklärung wird außerdem die »Wühltätigkeit« der Westmächte in der DDR bemüht und der Vorwurf erhoben, Bürger der DDR würden gezielt von Menschenhändlern abgeworben und in die BRD gelockt:

»Die Westmächte haben sich nicht nur nicht um die Normalisierung der Lage in West-Berlin bemüht, sondern fahren fort, es verstärkt als Zentrum der Wühlarbeit gegen die DDR und andere Länder der sozialistischen Gemeinschaft zu missbrauchen.« Und weiter: »Diese zahlreichen Wühlzentralen schleusen in die DDR Agenten ein, damit sie verschiedene Diversionen unternehmen, sie werben Spione an und putschen feindliche Elemente zur Organisation von Sabotageakten und Unruhen in der DDR auf.«

In den Sendungen des Berliner Rundfunks wurde als wirtschaftliches Argument häufig auf die Grenzgänger verwiesen, die sich auf Kosten der Allgemeinheit bereichern würden.

Neben der permanenten Wiederholung dieser Argumente in den Kommentaren und Berichten waren Stimmungsbilder aus der Bevölkerung ein wichtiger Bestandteil im Hörfunkprogramm. Vor allem auf der vermeintlichen Fürsprache der Arbeiterschaft lag großes Gewicht. In den Umfragen wurde stets die uneingeschränkte Zustimmung der Bevölkerung zu den »Maßnahmen unserer Regierung« inszeniert. In den Berichten gaben die Hörfunkjournalisten zudem den Tenor aus, für die Westberliner und die Alliierten liefe alles seinen gewohnten Gang und für die Ostberliner sei die Grenzschließung ein Weg zur »Normalisierung der Verhältnisse«. Mit der tatsächlichen Wahrnehmung der Berliner Bevölkerung von den Ereignissen in ihrer Stadt deckten sich diese Umfragen und Darstellungen freilich nicht.

Das aktuell-politische Programm in der Mauerbauwoche

»Tag eins« nach der Grenzschließung

Laut der Programmzeitschrift »Funk und Fernsehen der DDR« sollte der Berliner Rundfunk in der Nacht zum 13. August sein Programm wie üblich um zwei Uhr beenden. Doch um kurz vor zwei erfuhren die ausführenden Mitarbeiter, dass der Berliner Rundfunk bis zum Frühprogramm durchzusenden hatte. Auf dem korrigierten Sendeplan ist vermerkt:

»1 Minute Pause. Es erfolgte erst 1.55 Uhr durch den Chef vom Dienst (Koll. Blankenhorn) ein telefonischer Hinweis, dass das Programm des Berliner Rundfunks in der Nacht von 12.8. - 13.8.61 durchläuft. Anschlussmusik musste erst besorgt werden.«

Da der Anruf offensichtlich überraschend kam, lag im Studio nicht einmal Musik bereit, um das Programm weiterzuführen. Dies deutet daraufhin, dass beim Berliner Rundfunk allenfalls die Mitarbeiter auf den höheren Führungsebenen über die Mauerbau-Pläne informiert waren. Offiziell wurden die Medien in der Nacht zum Sonntag von der Allgemeinen Deutschen Nachrichtenagentur (ADN) der DDR durch eine um 1:11 Uhr herausgegebene Erklärung der Regierungen der Warschauer Vertragsstaaten informiert.

Die Reaktionen im Programm des Berliner Rundfunks setzten zeitnah in der Nacht zum 13. August ein. Um 2:05 Uhr verlas ein Sprecher die siebenminütige Erklärung der Warschauer Vertragsstaaten. Um 4 Uhr wurde diese durch den Ministerratsbeschluss der DDR ergänzt – die Verlese dauerte nun ganze 19 Minuten und wurde nicht mehr live über den Sender verbreitet, sondern von vier Bändern abgespielt. Dies ermöglichte die erneute Sendung der zentralen Bekanntmachungen im Verlauf des Tages.

Verlese der Erklärung der Warschauer Vertragsstaaten und des Ministerratsbeschluss der DDR in der Nacht zum 13.8.1961

Im Verlauf des Vormittags gelang es den Programmschaffenden im Berliner Rundfunk, neu produzierte Inhalte ins Programm aufzunehmen, die auf die aktuellen Ereignisse reagierten. Um 11:00 Uhr wurde ein Kommentar zu den Maßnahmen des Ministerrats der DDR gesendet. Bis zum Abend des Tages wurden Kommentare zur Einordnung der Ereignisse ein bestimmendes Programmelement. Klaus Dieter Kröber sprach um 13:00 Uhr zum Beispiel unter der Überschrift »Neue Maßnahmen gegen Menschenhandel« über die angeblich uneingeschränkte Zustimmung der Bevölkerung und bediente das Negativbild vom Grenzgänger:

»Jeder ehrliche Bürger unseres Staates, das haben mir auch alle Gespräche in den heutigen Morgen- und Vormittagsstunden gezeigt, ist zutiefst einverstanden mit dem, was geschah. Die paar zehntausend Grenzgänger, die sich bisher auf unsere Kosten eine goldene Nase verdient haben, die durch die Gespräche der letzten Wochen immer noch nicht klug geworden sind, sie werden jetzt nicht mehr umhin können, sich wieder nach einer Arbeit umzusehen, die ihren Klassengenossen hilft und nicht den erbittertsten Feinden, die schon seit zig Jahren Arbeiter ausplünderten und wenn sie nicht parierten zusammenschlugen, über den Haufen schießen oder schließlich in hitlerschen' Konzentrationslagern viehisch ermorden ließen.«

Klaus Dieter Kröber

Kommentar von Klaus Dieter Kröber im Berliner Rundfunk unter der Überschrift »Neue Maßnahmen gegen Menschenhandel« vom 13.08.1961.

Um 13:53 Uhr begann statt der angekündigten Berliner Volksmusikstunde eine erste aktuelle Magazinsendung mit einem Gespräch mit Westberliner Radsportlern und einem Bericht vom Kontrollpunkt Heerstraße. Um 16:40 Uhr berichtete Günter Deckwerth in der Sendung »Aktuelles vom Tage« über den Prozess gegen »Bonner Menschenhändler«, der am Freitag, 11. August, begonnen hatte und medial zu einem Schauprozess aufbereitet wurde. Der Zeitpunkt des Prozesses in der Woche nach der Grenzschließung scheint nicht zufällig gewählt. Der Berichterstattung wurde viel Programmzeit eingeräumt. Deckwerth bemüht sich in seinem Kommentar zur Verhandlung, die angebliche »Wühltätigkeit« der Westmächte in der DDR aufzuzeigen:

Ausschnitt aus dem Beitrag »Prozess vor dem Obersten Gericht der DDR gegen Menschenhändler - Zeugenaussage Schlickeiser« aus der Sendung »Aktuelles vom Tage« vom 13.08.1961 (Berliner Rundfunk). Ein Kommentar von Günter Deckwerth.

Im Abendprogramm übernahm der Berliner Rundfunk den Ton von zwei aktuell-politischen Fernsehproduktionen: Es wurde eine Kurzfassung der Gesprächssendung »Treffpunkt Berlin« mit dem Moderator Karl-Eduard von Schnitzler und seinen Gästen Horst Sindermann, Gerhart Eisler, Gerhard Kegel, Heinz Adameck und Bruno Wagner ausgestrahlt. Zu später Stunde lief dann ein Ausschnitt aus dem »Aktuellen Gespräch«. Die Übernahme von Fernsehtönen und damit die enge Zusammenarbeit mit dem staatlichen Fernsehen war in dieser Zeit durchaus eine gängige Praxis.

Besonderheiten in aktueller Berichterstattung im Verlauf der Woche

In den folgenden Tagen begleitete der Hörfunk die aktuellen Geschehnisse durch eine dichte Berichterstattung, die schon in den frühen Morgenstunden begann und sich bis in das Abendprogramm zog. Aktuelle politische Beschlüsse und Statements, einordnende Kommentare, Interviews, Vor-Ort-Berichte von der Grenze und Glossen zogen sich in dichter Frequenz durch die gesamte Woche nach der Grenzschließung.

Dabei griffen Berliner Rundfunk und Berliner Welle vielfältige Themen auf. Zum einen waren das Themen, die die Veränderung im Leben der Menschen in Berlin direkt betrafen: Veränderungen im Bahnverkehr, Möglichkeiten zum Passieren der Grenze oder dem Umgang mit ehemaligen Grenzpendlern, die vor der »Grenzsicherung« von Ostberlin einer Beschäftigung in Westberlin wahrgenommen hatten. Zum anderen stand die politisch angespannte Lage zwischen Ost- und Westdeutschland im Fokus. So wurde beispielsweise ein Statement Willy Brandts gegen den Mauerbau zur Zielscheibe der DDR-Propaganda, nachdem er die Befestigung der Grenze mit einer »Sperrwand eines Konzentrationslagers« verglichen hatte. Die Radiojournalisten ergriffen in Kommentaren und Glossen Partei gegen die westdeutschen Politiker und die vermeintlichen Verfehlungen des »Westens« im Umgang mit der DDR.

Zu Wort kamen in dieser Woche im Rundfunk eine Vielzahl von Akteuren, von SED-Politikern über DDR-Grenzschützer bis hin zu Arbeitern in Berliner Betrieben oder Passanten an der Grenze zu Westberlin. Sie äußerten sich durchweg positiv oder verteidigten die »Maßnahmen der Regierung« – wie auch der Radrennstar Täve Schur, der vor dem Mikrofon seine Erleichterung kundtat, dass »der Laden nun endlich dicht ist«.

Der eigentliche Ausbau der Grenzbefestigung, der sich ab dem 17. August auch zunehmend in der Errichtung von Mauern und dem Zumauern von Gebäude-Fenstern an der Grenze zu Westberlin niederschlug, wurde im Berliner Rundfunk dabei nicht thematisiert. Das Aufgebot an Panzern an der Grenze wurde als friedenssichernde Maßnahme inszeniert.

Der Tenor der Berichterstattung blieb damit ganz auf die offizielle Propagandalinie ausgerichtet. Nur selten vermittelt das heute überlieferte Programm eine gewisse Offenheit in der Auseinandersetzung mit den Ereignissen, wie am Freitag, dem 17. August: In der Sendung »Pulsschlag der Zeit« am späten Vormittag wurde in einem Gespräch mit dem Bevollmächtigten zur Vorbereitung der Wahl in Ostberlin, Gerhard Dengler, überraschend offen über die mangelnde Bewegungsfreiheit der DDR-Bürger gesprochen. Doch die »bedrückende« Situation, die Angehörigen auf der anderen Stadtseite nicht besuchen zu dürfen, wurde in der Sendung als vorübergehendes Phänomen abgetan:

»Auf die Berliner Verhältnisse bezogen heißt das, dass es sehr bedrückend ist für diesen und jenen Berliner, weil er zur Zeit seine Verwandten und Freunde in West-Berlin nicht besuchen kann, dass diese Einschränkung doch nur eine vorübergehende ist und in dem Moment wo das West-Berlin-Problem geregelt ist, mit dem Status einer freien Stadt, auch wiederum die Möglichkeit bestehen wird, dass derartige Einschränkungen fortfallen.«

Bei aufmerksamem Lesen des Programmablaufs fällt schließlich noch auf, dass die Journalisten und Programmacher der DDR-Medien in ihrer täglichen Arbeit von den Entwicklungen der Mauerbauwoche nicht unberührt blieben: Außerplanmäßig berichtete der Berliner Rundfunk im Nachmittagsprogramm des 17. August von Protesten gegen die Schließung der Westberliner Büros des Berliner Rundfunks, der Berliner Zeitung und der DDR-Nachrichtenagentur Allgemeiner Deutscher Nachrichtendienst (ADN).

Alexandra Luther, Karl Obermanns

Literatur / Quellen

  • Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik e.V.: Dokumente zur Berlin-Frage 1944-1966 [Schriften des Forschungsinstituts der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik e.V., Bd. 52/I], München 1987.
  • Heidemeyer, Helge: „Antifaschistischer Schutzwall“ oder „Bankrotterklärung des Ulbricht-Regimes“? Grenzsicherung und Grenzüberschreitung im doppelten Deutschland, in: Wengst, Udo; Wentker, Hermann (Hg.): Das doppelte Deutschland. Bonn 2008, S. 87-109.
  • Judt, Matthias (Hg.): DDR-Geschichte in Dokumenten. Bonn 1998.
  • Ministerrat der DDR Berlin: Gesetzblatt der Deutschen Demokratischen Republik. Teil II, Berlin 1961.
  • Niederschrift eines Gesprächs des Genossen N.S. Chrustschow mit dem Genossen W. Ulbricht, 1. August 1961 [Quelle: Präsidentenarchiv der Russischen Föderation/Staatsarchiv für Zeitgeschichte, Moskau]. Zitiert nach: www.chronik-der-mauer.de/index.php/de/Chronical/Detail/month/August/year/1961 (14.06.2010).
  • Staatliches Rundfunkkomitee der Deutschen Demokratischen Republik (Hg.): Funk und Fernsehen der DDR, Berlin 1961.

 

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