Studio der Aktuellen Kamera | Bildquelle: DRA/Klaus Winkler

Das Fernsehprogramm nach der Grenzschließung

Schutz vor »Wühltätigkeit« und »Menschenhandel«?

Politische Berichterstattung über den Mauerbau

Als eine »friedenssichernde Maßnahme« zur Verteidigung gegen westliche Angriffe und einen Schutz gegen die »Wühltätigkeit« und den »Menschenhandel« der Bundesrepublik wurde der Mauerbau in der DDR verkauft. In den aktuell-politischen Sendungen im Fernsehen der DDR dominierte diese ideologische Darstellung. Die politische Berichterstattung wurde in der Woche nach der Grenzschließung stark ausgebaut, um in diesem Sinne Einfluss auf die Bevölkerung zu nehmen.

Aktuelle Berichterstattung im Deutschen Fernsehfunk

Innerhalb der Organisation des Deutschen Fernsehfunks (DFF) stellte die »Aktuelle Politik« eine redaktionell eigenständig arbeitende Hauptabteilung dar, die direkt der Intendanz unterstellt war. Die Hauptabteilung wurde von Dieter Glatzer geleitet und gliederte sich u.a. in die Redaktionen »Aktuelle Kamera« und »Zeitgeschehen«. Der Deutsche Fernsehfunk wurde von der Abteilung »Agitation und Propaganda« des Zentralkomitees der SED angeleitet und kontrolliert.

Walter Ulbricht im Fernsehzentrum Adlershof am 18. August 1961

Den Bau der Mauer begleitete der DFF im Bereich der aktuellen Berichterstattung entsprechend der von der SED vorgegebenen Propaganda. Das Ergebnis war eine Berichterstattung, die keine kritischen Äußerungen zuließ, bewusst Informationen zurückhielt, die DDR als politische und menschliche Erfolgsgeschichte inszenierte und gegen die Westmächte – allen voran die Bundesrepublik Deutschland als »Klassenfeind« – polemisierte.

Umfangreiche Berichterstattung zur Grenzschließung

Bereits am Morgen des 13. August kam es im Deutschen Fernsehfunk zu umfangreichen Umstrukturierungen des Programms. Üblicherweise startete das Programm morgens um 10 Uhr mit der Wiederholung der »Aktuellen Kamera« vom Vortag. An diesem Sonntagmorgen wurde der Programmstart für eine spontane Sondersendung der »Aktuellen Kamera« auf 8 Uhr vorgezogen. Es folgten AK-Sondersendungen in enger Taktung: um 8:46 Uhr, 9:53 Uhr, 10:59 Uhr, 12:19 Uhr und um 17:00 Uhr, für die jeweils Platz im Programm geschaffen werden musste.

»Aktuelle Kamera«: Ministerratsbeschluss vom 12.8.1961 zur Grenzsicherung zwischen der DDR und West-Berlin

Neben der engen politischen Berichterstattung in Form von Nachrichten trat an diesem Sonntag bereits die Einordnung der Geschehnisse durch Gesprächssendungen, wie dem »Treffpunkt Berlin« oder »Das aktuelle Gespräch«. In den Sendungen wurden wiederholt Passagen aus dem Beschluss des DDR-Ministerrats vom 12. August 1961 sowie aus der Erklärung der Regierung der Warschauer Vertragsstaaten verlesen.

Eine besonders ausgeprägte, ideologische Darstellung vermittelt das Fernsehprogramm mit den Auftritten des scharfzüngigen Kommentators Karl-Eduard von Schnitzler. Am Abend des 13. Augusts polemisierte er mit einer Sonderausgabe der Sendung »Der Schwarze Kanal« gegen die Berichterstattung der westdeutschen Medien und die Politik der Bundesrepublik.

In der Woche nach der Grenzabriegelung in Berlin wurde die Sendezeit im DDR-Fernsehen ausgedehnt – durch eine Verlängerung und eine Verdichtung des Programms, das zu dieser Zeit noch kein Vollprogramm war. Kommentare, Verlesungen und Sondersendungen zogen sich durch die gesamte Woche. Das noch junge Medium bestand mit dieser schnellen und umfangreichen Reaktion auf die aktuellen Ereignisse offenbar eine Nagelprobe: im Nachgang galt die »Woche im August« für die Fernsehschaffenden in der DDR als Paradebeispiel für eine erfolgreiche aktuelle Berichterstattung.

Die ideologische Legitimierung des Mauerbaus

1961 waren die politischen Verhältnisse geprägt vom Kalten Krieg. Der Konflikt zwischen den Westmächten und den Ländern des »Warschauer Paktes« erreichte einen Krisen-Höhepunkt. Die Schließung des »Schlupfloches« Berlin war DDR-seitig schon lange erwogen worden. Die endgültige Entscheidung zum Bau der Mauer fiel jedoch erst am 1. August 1961 in einem Telefonat des sowjetischen Partei- und Regierungschefs Nikita Chruschtschow mit dem Staatsratsvorsitzenden der DDR, Walter Ulbricht. In diesem Telefonat wurde auch besprochen, wie der Bevölkerung die Maßnahmen der Regierung zu verkaufen seien. Chruschtschow plädierte dafür, nicht die wirtschaftliche Lage der DDR als vordergründiges Argument zu bedienen.

Im Zentrum der ideologischen Begründung des Mauerbaus standen die Behauptungen der westlichen Kriegsprovokation, des Menschenhandels und der »Wühltätigkeit« der Bundesrepublik in der DDR. Die Entscheidung, die Grenze zwischen Ost- und West-Berlin zu schließen, sollte als friedenssichernde Schutzmaßnahme dargestellt werden.

Der Beschluss des Ministerrates der DDR vom 12. August 1961 und die Erklärung der Regierungen der Warschauer Vertragsstaaten transportierten diese Begründungen für den Mauerbau. Der Deutsche Fernsehfunk verbreitete die Argumente in vielseitigen Präsentationsformen: Umfragen, Berichte, Kommentare, Gesprächs- und Gerichtssendungen, Glossen und Karikaturen schärften das Feindbild Westdeutschland und lobten das »menschlichere« System des Sozialismus in der DDR.

Ins Programm dieser Woche wurden kurzfristig Berichte aufgenommen, die diese Argumente der Partei und Staatsführung für die Maßnahmen zu untermauern schienen: So wurde ab dem 13. August über mehrere Tage hinweg zum Beispiel die Gerichtssendung »Menschenhändler vor Gericht« ausgestrahlt, in der sich vermeintliche »Menschenhändler« und »Spione« vor laufender Kamera vor dem Obersten Gerichtshof der DDR verantworten mussten.

Besonders dominant war in der Woche vom 13. bis 19. August das journalistische Mittel der Umfrage in der Nachrichtensendung »Aktuellen Kamera«. Arbeiter, Grenzsoldaten, Westberliner und Passanten in Ostberlin wurden vor die Kamera geholt, um ihre Unterstützung für die Regierungsmaßnahmen zum Ausdruck zu bringen. Das Ideal vom Konsens zwischen Volk und Führung sollte damit in den Köpfen der Zuschauer verankert werden.

»Aktuelle Kamera«: Umfrage an Grenzkontrollpunkten zu Westberlin zur Situation nach den Grenzsicherungsmaßnahmen

Jene, die sich gegen den Mauerbau auflehnten, wurden in den offiziellen Darstellungen als junge Menschen verkauft, die – vom Westen indoktriniert – den richtigen Weg noch nicht erkannt hätten. Diese Methode zur Ausgrenzung anders Denkender wurde bis zum Zusammenbruch der DDR in der Medienberichterstattung wiederholt angewandt.

Die Delegitimierung der Bundesrepublik durch den Vorwurf der faschistischen Kontinuität der Bonner Politik wurde bereits zu Beginn der System-Konkurrenz im Kalten Krieg eingesetzt. In der Woche ab dem 13. August wurde diese Strategie zur Legitimierung des eigenen politischen Systems – dem »antifaschistischen« Arbeiter- und Bauernstaat – zugespitzt. Westdeutsche Politiker wie Bundeskanzler Konrad Adenauer, der Bundesminister für Gesamtdeutsche Fragen Ernst Lemmer, Außenminister Heinrich von Brentano, Staatssekretär Hans Globke und der Regierende Bürgermeister von Westberlin Willy Brandt standen konstant unter verbalem Beschuss.

Über die Hauptgründe für den Mauerbau in Berlin, die wirtschaftlichen Probleme der DDR und den zunehmenden Fachkräftemangel durch die immense Abwanderung der Bevölkerung, schwieg der Deutsche Fernsehfunk beharrlich.

Julia Weber

Literatur / Quellen

  • Beschluss des Ministerrates der Deutschen Demokratischen Republik vom 12.08.1961, in: Neues Deutschland vom 13.08.1961, Nr. 222, S. 1.
  • Erklärung der Regierungen der Warschauer Vertragsstaaten (13. August 1961), in: Neues Deutschland vom 13.08.1961, Nr. 222, S. 1.
  • Erklärung des Regierenden Bürgermeisters von Berlin, Willy Brandt, auf einer Sondersitzung des Abgeordnetenhauses (13.8.1961). Zitiert nach: www.chronik-der-mauer.de/index.php/de/Start/Detail/id/593839/page/8 (14.06.2010)
  • Niederschrift eines Gesprächs des Genossen N.S. Chrustschow mit dem Genossen W. Ulbricht, 1. August 1961 [Quelle: Präsidentenarchiv der Russischen Föderation/Staatsarchiv für Zeitgeschichte, Moskau]. Zitiert nach: www.chronik-der-mauer.de/index.php/de/Chronical/Detail/month/August/year/1961 (14.06.2010).
  • Bösenberg, Jost A.: Die Aktuelle Kamera (1952-1990). Lenkungsmechanismen im Fernsehen der DDR. Berlin Brandenburg 2009. (Veröffentlichungen des Deutschen Rundfunkarchivs)
  • Judt, Matthias (Hrsg.): DDR-Geschichte in Dokumenten. Bonn 1998.
  • Heidemeyer, Helge: „Antifaschistischer Schutzwall“ oder „Bankrotterklärung des Ulbricht-Regimes“? Grenzsicherung und Grenzüberschreitung im doppelten Deutschland, in: Wengst, Udo; Wentker, Hermann (Hrsg.): Das doppelte Deutschland. Bonn 2008, S. 87-109.

 

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