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Beate Uhse
Pilotin, Flüchtlingsfrau, Unternehmerin
Ihr Name ist eine Marke, so bekannt wie Nivea oder Mercedes. Bei einer Umfrage in den 1990er Jahren kennen ihn 98 Prozent der Deutschen: Beate Uhse, erfolgreiche Unternehmerin und – in der noch jungen Bundesrepublik – Vorkämpferin in Sachen Erotik. Ihr Leben und ihre mehr als 50 Jahre währende Unternehmensgeschichte sind eng verknüpft mit der gesellschaftlichen Entwicklung und der Sittengeschichte des Landes.
Die Anfänge
Foto: Archiv der Forschungsstelle für Zeitgeschichte in Hamburg (FZH), Beate Uhse-Archiv/Beate Uhse-Katalog von 1952
Geboren 1919 in Ostpreußen, erhielt Beate Köstlin – so ihr Mädchenname – eine für ihre Zeit und ihr Geschlecht untypische, auf freie Entfaltung gerichtete Erziehung, u.a. an reformpädagogischen Schulen. Die fortschrittlichen Eltern klärten sie früh auf und unterstützten ihren Wunsch, Pilotin zu werden. Als einzige Frau unter 60 Flugschülern erwarb sie den Pilotenschein, wurde Kunstfliegerin, später Hauptmann der Luftwaffe. 1945 – da war sie bereits Witwe mit kleinem Sohn – floh sie aus Berlin nach Schleswig-Holstein.
Wie viele ihrer Generation versuchte sie nach dem Krieg den Lebensunterhalt mit Haustür-Geschäften zu sichern. Der Verkauf von Broschüren zur Empfängnisverhütung nach der Knaus-Ogino-Methode – seit 1946 unter dem Titel »Schrift X« vertrieben – brachte schließlich Erfolg. Dank ihres Geschäftssinnes hatte Uhse ein Jahr später bereits 32.000 Exemplare davon verkauft und damit das Startkapital für das spätere Erotik-Unternehmen. Ihr »Spezial-Versandhaus für Ehe- und Sexualliteratur und für hygienische Artikel« bot den Kunden ab 1951 Kondome und Aufklärungsschriften. 1962 eröffnete sie in Flensburg den ersten Sexshop der Welt: Das »Fachgeschäft für Ehehygiene«. Dass »Ehehygiene«, wie die partnerschaftliche Sexualität damals noch genannt wurde, auch mit Lust und Spaß verbunden sein könnte, war in der noch jungen und prüden Republik kein Allgemeingut.
»Ich denke, ich habe es sehr viel leichter gehabt. Einem Mann werden sehr viel leichter negative Gedanken und schweinische Vorstellungen unterstellt als einer Frau, die selber verheiratet ist und Kinder hat.«
Geschäftsfrau jenseits von Konventionen
Wie schon ihr Wirken als Pilotin gestaltete sich Uhses Karriere als Unternehmerin in einer von Männern dominierten Erotik-Branche weitab tradierter Rollenklischees – ganz besonders in den Anfangsjahren. Anders als die Konkurrenz stand sie von Anfang an mit ihrem Namen und ihrem Gesicht für das Unternehmen und die Produkte. Ihre Kunden sprach sie in den Produktbeschreibungen und Katalogen direkt und vertrauensvoll an. Ihr biologisches Geschlecht bot einerseits Anlass für sittliche Empörung – eine Frau auf diesem Geschäftsfeld war doppelt verwerflich. Andererseits brachte ihr Frausein – auch als Mutter vierer Kinder und in zweiter Ehe – ihr Respekt und Vertrauen ein. Sie wusste um die Nöte der Frauen, war seriös und glaubwürdig, auch in der Rolle als Ratgeberin:
»Ich denke, ich habe es sehr viel leichter gehabt. Einem Mann werden sehr viel leichter negative Gedanken und schweinische Vorstellungen unterstellt als einer Frau, die selber verheiratet ist und Kinder hat und der so eigentlich alles im Leben, was auf diesem Sektor so passiert, nicht fremd ist. Der glaubt man das eher«, erklärte sie 1997 in einem Interview mit dem Südwestfunk.
Trotz zahlreicher Drohungen, unzähliger Klagen wegen Beihilfe zur Unzucht und gesellschaftlicher Ausgrenzung stand sie offen und selbstbewusst für ihr Geschäft ein und schaffte es so, die Erotikbranche aus der Schmuddelecke zu befreien. Auch persönlichen Krisen, darunter der Tod ihres ersten Ehemanns und eines Sohnes, die eigene schwere Krebserkrankung, begegnete sie mit großem Selbstbewusstsein, Überlebenswillen und einer positiven Einstellung zum Leben.
In einem Interview nach ihrer Definition von Glück befragt, äußerte sie sich wie folgt:
Mit ihrem ganz persönlichen Stil sorgte sie für Kontinuität und Erfolg des Unternehmens: 1976 erwirtschaftete ihre Firma mit rund 25 Geschäften sowie der Produktion und dem Verleih von pornografischen Filmen bereits einen Jahresumsatz von 60 Mio DM. 1979 folgte eine weitere Expansion durch den Kauf der Sex-Shop-Kette »Dr. Müller’s«. Als 1989 die Mauer fiel, erkannte die clevere Unternehmerin sofort ihre Chancen.
Foto: Archiv der Forschungsstelle für Zeitgeschichte in Hamburg (FZH), Beate Uhse-Archiv/Versandhaus Beate Uhse, Werbepostkarte
1989: Beate Uhse eroberte den Osten
Der Markt in der DDR war noch gänzlich unerschlossen. Eine Erotik-Branche gab es im Arbeiter- und Bauernstaat nicht, Pornografie war strafbar und wurde höchstens heimlich konsumiert. Ganz nach ihrem Wahlspruch »Nicht die Großen werden die Kleinen fressen, sondern die Schnellen die Langsamen« ließ Beate Uhse sofort nach dem Fall der Mauer 25.000 Kataloge drucken und in grenznahen Gebieten und im Berliner Umland verteilen. Bis Ende des Jahres gingen bereits mehr als 7.500 Bestellungen ein. Der Erfolg gab ihr Recht: Der Umsatz stieg schon 1990 auf 115 Millionen DM.
Bevor sie im November 1990 ihren ersten Sex-Shop in Ost-Berlin eröffnen konnte, schickte Uhse mobile Kleintransporter mit Sonderkatalogen und einem Gewinnspiel auf Verkaufstour durch die ostdeutschen Länder. Die Gewinne – einige VW Golf oder der Geldwert in Höhe von 18.000 DM – überreichte die damals 70-jährige selbst bei einer Veranstaltung im Grand Hotel Berlin. Auch hier entstand der Eindruck, als bemühte sie sich persönlich um jeden Kunden.
In den Medien der DDR wurde die Etablierung eines Marktes mit Sex und Erotikartikeln kritisch (als Auswuchs des Kapitalismus) kommentiert. Die DDR-Bürger zeigten sich allerdings gar nicht prüde, sondern äußerst interessiert und offen für die Angebote in den Erotik-Läden und nahmen Dessous, Sexspielzeuge und Aufklärungsbücher neugierig in Augenschein:
Uhses Erbe
»Lustmutter der Nation«, »Erotik-Königin«, »Mutter Courage des Tabubruchs« waren nur einige der Zuschreibungen, die ihr galten. Für Konservative war und blieb sie eine Reizfigur, für Feministinnen war sie ein Hassobjekt, vor allem im Kontext der PorNo-Debatte. Unbestritten trug die selbstbewusste, wortgewandte Geschäftsfrau zur Enttabuisierung von Sexualität und zu einer offeneren und liberaleren Gesellschaft bei. 1989 wurde ihr in Form des Bundesverdienstkreuzes die lange verwehrte öffentliche Anerkennung zuteil.
Jutta Weismüller
Online-Tipps
- Lebendiges Museum Online - Biografie Beate Uhse mehr
- Beate Uhse: Nur Fliegen ist schöner. Porträt. MDR Dok vom 23.10.2019 ARD-Audiothek
Beate Uhse: Ein Leben gegen Tabus. Biografie-Autorin Katrin Rönicke in rbb Kultur ARD-Audiothek
Sex, Fliegen, Treue: Beate Uhse spricht über ihr Leben; Archivradio – Geschichte in Originaltönen ARD-Audiothek
Sex-Pionierin und Geschäftsfrau. Auf den Spuren von Beate Uhse. SWR2 Wissen ARD-Audiothek
Literatur-Tipps
- Elisabeth D. Heinemann: Der Mythos Beate Uhse. In WerkstattGeschichte 40, 2005
Katrin Rönicke: Beate Uhse: Ein Leben gegen Tabus (2019)
Beate Uhse/Ulrich Pramann: Mit Lust und Liebe. Mein Leben (1997).