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Mathias Rust in Moskau
Am 28. Mai 1987 landete der 18-jährige Privatpilot Mathias Rust mit einer geliehenen Cessna in der Nähe des Roten Platzes in Moskau. Der aus Schleswig-Holstein stammende Hobbyflieger hatte das Sportflugzeug mit der Begründung gechartert, einen »Rundflug über die Nordsee« machen zu wollen. Rusts Motiv für den Flug ist wegen seiner widersprüchlichen Aussagen bis heute unklar.
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Über den Vorfall berichtete die »Aktuelle Kamera« im DDR-Fernsehen am 29. Mai 1987 nur in einer Kurznachricht am Ende der Sendung: Ein Sportflugzeug des aus der BRD stammenden Piloten Mathias Rust habe den sowjetischen Luftraum verletzt und sei bis Moskau vorgedrungen, ohne aufgehalten worden zu sein. Dagegen war die Landung der Cessna auf dem Roten Platz Top-Thema in der »Tagesschau«, die dem Ereignis und den Hintergründen fünf Minuten Sendezeit widmete.
Doch ganz so unspektakulär, wie die DDR-Fernsehberichterstattung glauben machen wollte, war die Tat des Hobbyfliegers wohl nicht. Die sowjetische Regierung enthob zwei Tage später den für die Luftwaffe verantwortlichen Oberkommandierenden Alexander Koldunow seines Amtes. Auch der sowjetische Verteidigungsminister Sergej Sokolow ging offiziell frühzeitig in den Ruhestand. In der Berichterstattung darüber wurde allerdings kein Zusammenhang mit dem Rust-Flug hergestellt, während die Absetzung Koldunows in der »Aktuellen Kamera« direkt mit der Luftraumverletzung von Mathias Rust begründet wurde. Das Politbüro der KPdSU, der Kommunistischen Partei der Sowjetunion, wies am 31. Mai nochmals auf das Versagen der Führung der sowjetischen Luftwaffe hin und begründete die Amtsenthebung von Koldunow ausführlich.
Wer sich allerdings allein auf die Berichterstattung des wichtigsten Nachrichtenmagazins im DDR-Fernsehen verließ, blieb lange über Rusts Motive für seine verwegene und auch gefährliche Aktion im Unklaren. Mehr noch: Die Person Mathias Rust spielte in der Berichterstattung des DDR-Fernsehens bis zum Beginn des Prozesses gegen ihn überhaupt keine Rolle und blieb für die Zuschauer äußerst vage. Rust wurde Anfang September 1987 vor dem Obersten Gericht der UdSSR wegen gesetzwidriger Einreise in die Sowjetunion, Verstößen gegen die Regeln des internationalen Flugverkehrs und wegen schweren Rowdytums angeklagt. Erst jetzt, als sich Rust gegen die Vorwürfe des Rowdytums wehrte, wurde erstmalig über ein mögliches Motiv im DDR-Fernsehen berichtet: Demnach hätte Rust eine »Friedensmission« durchführen wollen. Am 4. September 1987 wurde das Urteil gegen Mathias Rust gesprochen. Die Staatsanwaltschaft hatte eigentlich acht Jahre Freiheitsentzug beantragt. In Anbetracht seines jungen Alters und der gezeigten Reue wurde Rust dann zu vier Jahren Freiheitsentzug verurteilt.
Am 3. August 1988 meldete die »Aktuelle Kamera« die Begnadigung und bevorstehende Ausweisung von Mathias Rust. Nach seiner Rückkehr löste er mit dem Verkauf der Exklusivrechte seiner Story an das Nachrichtenmagazin »Stern« Diskussionen in den westdeutschen Medien über das Berufsethos des Journalisten aus. Der Diskurs war auch für den Chefkommentator des DDR-Fernsehens, Karl-Eduard von Schnitzler, Anlass eines Kommentars zum Thema Informationen als Ware und die Pflichten des Journalisten.
Der weitere Lebensweg von Mathias Rust, der am 1. Juni 1968 in Wedel bei Hamburg geboren wurde, verlief nur selten geradlinig. Mathias Rust einen Friedensaktivisten zu nennen ist vielleicht übertrieben. Doch die Idee der Überwindung von Grenzen in Zeiten nationaler Abschottung bleibt noch nach 30 Jahren lebendig, auch wenn, wie im Falle von Rust, zu ihrer Umsetzung jugendlicher Leichtsinn, Naivität oder eine Portion Größenwahn gehören.
Brigitta Hafiz, Marwa Al-Sadoon