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Rede der Alterspräsidentin Clara Zetkin
Die Wesensmerkmale des Faschismus hatte die Kommunistin Clara Zetkin bereits in den frühen 1920er Jahren erkannt und analysiert. Seitdem hatte sie bei ihren politischen Auftritten immer wieder vor dem Nationalsozialismus gewarnt. Im April 1932 fanden in Preußen Landtagswahlen statt, bei welchen die Nationalsozialisten zwanzigmal so viele Stimmen erhielten wie vier Jahre zuvor und zur stärksten Fraktion aufsteigen konnten. Clara Zetkin war angesichts dieser Entwicklung beunruhigt, vor allem darüber, dass es der NSDAP gelungen war, scharenweise Menschen auch aus jenen Gesellschaftsschichten für sich und ihre Sturmtruppen zu gewinnen, für welche die KPD stets eingetreten war. In der Reichstagswahl am 31. Juli 1932 gewann zwar die KPD Wählerstimmen hinzu, die mit Abstand stärkste Partei wurde jedoch auch da die NSDAP.
Foto: Deutsches Historisches Museum
Im August 1932 bat das Zentralkomitee der KPD die in einem russischen Sanatorium lebende Clara Zetkin, als das nunmehr älteste Mitglied des neu gewählten Reichstags, dessen erste Sitzung zu eröffnen. Als die politische Kämpferin, die sie war, sagte die 75-Jährige sogleich zu. Trotz etlicher Widrigkeiten – ihrer schweren Krankheit, des hohen Alters, der fast vollständigen Erblindung sowie Drohungen und Beleidigungen vonseiten der NSDAP – reiste sie in Begleitung ihres Sohnes Maxim nach Berlin, um einen Aufruf zum Kampf gegen den Nationalsozialismus in den Reichstag zu tragen. Zwei KPD-Mitglieder, darunter Herbert Warnke, wurden damit beauftragt, Clara Zetkin in Berlin zu beschützen und dafür Sorge zu tragen, dass sie ungehindert von ihrem Quartier in die Eröffnungssitzung gelangen konnte. Herbert Warnke erinnerte sich später an ihren matten Zustand vor der Reichstagssitzung: Man habe sich es schwer vorstellen können, dass sie in ein paar Stunden eine so bedeutende Rede halten würde.
Ihre Rede als Alterspräsidentin hatte Clara Zetkin als einen kämpferischen Mahnruf verfasst. Unter vollem Einsatz der ihr noch gebliebenen Kräfte forderte sie – mit schwacher Stimme, aber gleichwohl eindringlich –, sich gegen den Faschismus zur Wehr zu setzen. Ziel ihres rhetorischen Angriffs war zum einen natürlich die NSDAP-Fraktion, zum anderen aber auch das deutsche Großbürgertum, dem sie vorwarf, den Nazis den Weg zu bereiten und zur Macht zu verhelfen. Zur Bekämpfung des Nationalsozialismus rief Clara Zetkin zur Bildung einer »Einheitsfront aller Werktätigen« auf, womit sie in erster Linie eine Allianz von Kommunisten und Sozialdemokraten meinte. Eine solche »Einheitsfront« begriff sie als einzigen Weg und wohl letzte Chance, dem Faschismus Einhalt zu gebieten. Die gesellschaftliche Entwicklung in der Sowjetunion hingegen stellte sie als anzustrebendes Vorbild dar und schloss ihre Rede provokativ mit dem Wunsch, einst noch das Glück erleben zu dürfen, »als Alterspräsidentin den ersten Rätekongress Sowjetdeutschlands zu eröffnen«. Daraufhin erhielt sie Beifall von ihrer KPD-Fraktion.
»Ich eröffne den Reichstag in Erfüllung meiner Pflicht als Alterspräsidentin und in der Hoffnung, trotz meiner jetzigen Invalidität das Glück zu erleben, als Alterspräsidentin den ersten Rätekongress Sowjetdeutschlands zu eröffnen.«
Dieser saß eine Fraktion von 230 NSDAP-Abgeordneten gegenüber, die nahezu die Hälfte des Saals füllte. Weil Anlass dazu bestand, die Alterspräsidentin zu schützen, waren zu dieser Eröffnungssitzung Polizisten zugelassen worden. Doch die NSDAP-Abgeordneten blieben ruhig. Wie die »Vossische Zeitung« anderntags berichtete, »saßen sie, 230 Mann stark, in ihren Uniformen, (…) mäuschenstill da, und hörten eine Stunde lang die Rede der Alterspräsidentin an, die sich fast ausschließlich gegen sie richtete, ohne sich auch nur zu rühren« (VZ, 31. August 1932, S. 1). Jede Störung des Sitzungsverlaufs seitens der Nazis, die Rufe zur Ordnung oder mehr zur Folge gehabt hätte, hätte die NSDAP als parlamentarisch nicht arbeitsfähige Partei offenbart, was die Parteiführung zu verhindern suchte.
Nachdem Clara Zetkin Wochen später in die Nähe von Moskau zurückgekehrt war, beobachtete sie höchst besorgt die folgenden Geschehnisse in Deutschland. Nach der Brandstiftung des Reichstags am 27. Februar 1933 richtete sie als Leiterin der Internationalen Roten Hilfe einen letzten Aufruf an die Öffentlichkeit: »Wir alle dürfen nicht rasten und ruhen, bis der Faschismus, der blutige Unterdrückung, Terror, Hunger und Krieg im Gefolge hat, zerschmettert am Boden liegen wird.« Doch wie bekannt ist, kam es zu keinem Bündnis gegen die Nationalsozialisten. Die Spaltungen in der Gesellschaft waren nicht aufzuheben. Clara Zetkin starb am 20. Juni 1933. Ihre Asche wurde an der Kremlmauer in Moskau beigesetzt.
Nadja Bellin
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